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Zeitzeugin am MCG

Man konnte eine Stecknadel in der Aula des Marie-Curie-Gymnasiums fallen hören, so still war es. Rachel Klüger (83) berichtete von ihrem Leben und alle Anwesenden lauschten gebannt ihren Worten. Das große Interesse an ihr zeigte sich nicht nur an der großen Zahl der Zuhörerinnen und Zuhörer, die auch viele Lehrer und externe Besucher umfasste, sondern auch daran, dass alle anwesenden Schülerinnen und Schüler bereits Schulschluss hatten und sich dennoch an diesem sonnigen Nachmittag in der Aula einfanden. Organisiert und moderiert wurde das Gespräch durch den Projektkurs Geschichte der Jahrgangsstufe Q1, der auch den Kontakt hergestellt hatte. Nach netten einleitenden Worten durch die Schülerinnen Katharina und Laura übernahm Frau Klüger mit resoluter Art humorvoll direkt das Zepter: „Ich denke, das geht ohne Mikrofon, ich bin ehemalige Lehrerin!“

Rachel Klüger selbst fand in ihrer Einleitung dann aber ganz bescheidene Worte für ihre Motivation, vor den Schülerinnen und Schülern zu sprechen. Sie wolle einfach über ihr Leben berichten. Die pensionierte Biologielehrerin des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Düsseldorf hat eine bewegte Geschichte hinter sich, wie in der Folge schnell deutlich wurde.

Als Kind jüdischer Eltern wuchs sie als Teil der deutschsprachigen Minderheit im Gebiet des heutigen Rumänien auf. Schon früh sah sie sich mit dem nach Osten expandierenden Nationalsozialismus konfrontiert. Als der Zweite Weltkrieg auch in Rumänien Einzug hielt, mussten sich die Menschen jüdischen Glaubens auf dem Dorfplatz versammeln und wurden in geschlossenen Güterwaggons viele Tage lang mit unbekanntem Ziel und unter unmenschlichen Bedingungen transportiert. „Hier habe ich zum ersten Mal tote Menschen gesehen. Manche haben das einfach nicht geschafft, auch junge Leute. Es war schrecklich.“ Später mussten die Überlebenden dann einen Fluss überqueren, in der Mitte des Flusses wurden die Boote einfach von SS-Mannschaften umgekippt. „Wir haben nur überlebt, weil mein Vater ein so guter Schwimmer war und meine Mutter und mich retten konnte.“ Man merkte Rachel Klüger durch die sorgfältige Wahl ihrer Worte an, dass sie den Schülerinnen und Schülern allzu grausame Details dieser unmenschlichen Jahre ersparen wollte.

Die Zeit nach dem Krieg schilderte sie als Zeit, in der verdeckter und offener Antisemitismus ihr und ihrer Familie in vielen Facetten begegnete. So schilderte sie einen Vorfall in der Schule ihrer Tochter: Ein Neonazi beleidigte diese immer wieder wegen ihres Glaubens. Die Lehrer erschienen hilflos. Der Rat der Mutter: „Ich habe meiner Tochter gesagt, dass sie sich mit Worten wehren muss. Das muss sie lernen.“ Zu dieser resoluten Einstellung passt auch, dass Frau Klüger nun mit 83 Jahren noch nach Israel auswandern wird. Dort leben ihre Töchter, die sie gerne in ihrer Nähe hätten.

Anschließend stellten die Schülerinnen und Schüler noch viele Fragen, lange nicht alle konnten berücksichtigt werden. So wurde beispielsweise gefragt, ob Frau Klüger nicht ihre Erinnerungen in einem Buch aufschreiben wolle. Ihre Antwort darauf war, dass sie zwar kein Buch schreiben wolle, aber aktuell gerade eine filmische Dokumentation über sie und das Schicksal der Juden in dieser Region gedreht werde. Diese werde Teil der Sammlung der Gedenkstätte Yad Vashem. Auch zur Gegenwart gab sie den Schülerinnen und Schüler noch Ratschläge mit, als diese sie zu ihrer Meinung zur AfD fragten: „Eine Demokratie kann und muss auch extremere Meinungen aushalten. Das ist nämlich das Wesen der Demokratie und ihre größte Stärke.“

Das Gespräch im Marie-Curie-Gymnasium war ihr letzter Gang in eine deutsche Schule, einen Monat vor der endgültigen Ausreise nach Israel. Daher bedankte sich der Projektkurs Geschichte auch besonders herzlich bei Frau Klüger für dieses Gespräch und überreichte ihr zum Abschied Blumen.  Auch der Bürgermeister Reiner Breuer ließ Grüße übermitteln, konnte allerdings trotz Interesse terminlich verhindert nicht anwesend sein. Die Schülerinnen und Schüler verließen die Aula nachdenklich und beeindruckt. Vielen Dank an Frau Klüger dafür, dass sie sich noch einmal Zeit genommen hat und alles Gute in Israel!

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